Jung, DMS & Sie! - Oktober 2021

Aufgrund einer mysteriösen Nervenerkrankung wurden Ihnen Ihre beiden gelähmten Füße allmählich zum Handicap. Was war der entscheidende Auslöser für Ihre mutige, aber sehr ungewöhnliche Entscheidung, sich freiwillig beide Unter- schenkel amputieren zu lassen? Schwarzhuber: Das war eigentlich ein längerer Prozess. Ich hatte ja jahrelang Probleme mit meinen gefühllosen Füßen, war immer wieder im Krankenhaus – manchmal mit Kno- chenbrüchen, die ich über Monate gar nicht bemerkt habe. 2015 waren meine Füße dann wieder einmal so entzündet, dass ich erneut ins Krankenhaus musste. Der damalige Arzt meinte, es wäre knapp gewesen – ein oder zwei Tage länger und er hätte mir beide Füße abnehmen müssen. Meine Füße erholten sich dann wieder einigermaßen, aber in mir kam der Gedanke hoch: Vielleicht ist eine Amputation die Lösung für meine jahrelangen Probleme. Ich habe mich dann rund eineinhalb Jahre gründlich informiert, habe mit Ärzten ge- sprochen, mit Prothesentechnikern, mit Menschen, die schon eine Amputation hinter sich haben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was es denn heißt, keine Füße mehr zu haben. Gab es Momente, in denen Sie Ihre damalige Entscheidung bereut haben? Schwarzhuber: Niemals, nicht einmal kurz nach der Operati- on im Aufwachraum. Meine Idealvorstellung war ja: ich kann mein Leben und meinen Alltag nach der Amputation ohne Schmerzen und ohne fremde Hilfe so weiterführen wie bisher. Zweifel hatte ich lediglich kurz vor der Amputation, denn die Ärzte sagten mir auch, dass ich unter Umständen an den Rollstuhl gefesselt sein werde. Diese Ungewissheit vor der Operation war der größte Druck. Und ich hätte ja jederzeit alles abblasen können. Nach der Operation ist der Druck gewichen und ich war sogar erleichtert. Denn ich wusste, es gibt keinen Weg zurück. Jetzt galt es nur noch, nach vorne zu schauen. Die meisten Menschen würden verzweifeln, wenn sie plötzlich mit Krücken gehen müssten oder an den Rollstuhl gefesselt sind. Sie setzten sich noch während der Reha ein sportliches Ziel und wollten ein paar Monate später an einem regionalen Zehn-Kilometer-Lauf teilnehmen. Woher nahmen Sie bereits damals diese Motivation und den Optimismus? Schwarzhuber: Am Anfang war das zugegebenermaßen eine Schnapsidee, denn mir war ja klar, dass ich erst einmal mit den Prothesen gehen lernen musste. Das klappte aber vom ersten Tag an ganz gut. Ich hatte allerdings den Vorteil, dass ich ja schon wusste, wie es sich anfühlt, mit gefühllo- sen Füßen zu gehen oder das Gleichgewicht zu halten. Ich habe dann in der Reha das volle Programm gemacht und spaßeshalber den Ärzten gesagt, ich würde gerne diesen Zehn-Kilometer-Lauf machen. Daraufhin habe ich leihweise Laufprothesen bekommen, mit denen ich trainieren konnte. Am Anfang war es zwar eine Schnappsidee, aber als ich Jung, DMS & Sie! / TRENDS merkte, das könnte tatsächlich klappen, habe ich immer mehr Gas gegeben. Welchen Platz haben Sie bei dem Volkslauf dann letztlich belegt? Schwarzhuber: Es gab keine Rangliste, aber ein Freund von mir, der auch mitgemacht hat, ist zehn Minuten nach mir ins Ziel gekommen. Damit ziehe ich ihn heute noch auf. Was waren bisher ihre größten sportlichen Erfolge? Schwarzhuber: Das war mein erster Marathonlauf in Mün- chen. Das war eine echte Qual. Dann habe ich über die Olym- pische Distanz beim Triathlon in Ingolstadt mitgemacht. Das war auch eine Herausforderung, denn ich habe mich ein paar Monate zuvor einfach dazu angemeldet und konnte zu dem Zeitpunkt mit den Prothesen noch nicht kraulen. Der damali- ge Organisator des Triathlons hat mich aber sehr unterstützt und ist heute mein Trainer. Ein für mich großer sportlicher Erfolg war dann auch noch die Alpenüberquerung mit dem Rad von München nach Venedig in 24 Stunden. Mit einem Mountain-Bike oder E-Bike? Schwarzhuber: Mit einem Rennrad. Sicher gab es auch schon manche Misserfolge. Wie konnten Sie sich danach – mit Ihrem Handicap – immer wieder neu motivieren? Schwarzhuber: Ich glaube, dass es nicht viel Unterschied macht, ob man sich als gesunder Mensch oder mit einem Handicap motivieren kann. Mental gibt es da keinen Unter- schied. Entscheidend ist, dass man Ziele hat – egal, welche. Es geht zuerst nur darum, DASS man etwas macht. Wichtig sind der Beginn und die Umsetzung. Was man dabei an Erfahrung gewinnt, ist mehr wert als das Philosophieren über hochgesteckte Ziele in der Zukunft. Viele denken, sie brauchen zuerst einmal das perfekte Ziel, den perfekten Plan und die perfekten Gründe dahinter, vergessen dann aber, die ersten Schritte zu machen. Einfach einmal zu beginnen, etwas auszuprobieren, wird meiner Meinung nach bei vielen Trainingsprogrammen zur Persönlichkeitsentwicklung zu sehr vernachlässigt. Mich persönlich motivieren im sportli- chen, aber auch im beruflichen Bereich vor allem Projekte, bei denen ich anfangs nicht weiß, ob ich sie wirklich schaffe. Aber wie gehen Sie dann mit der Ungewissheit um, wenn Sie so ein Projekt beginnen? Schwarzhuber: Irgendwann zeigt die Erfahrung, dass man aus Fehlern und Rückschlägen lernen kann, und dass man immer besser wird. Ich vergleiche das gern mit Elon Musk und sei- nen SpaceX-Raketen. Da geht nach wie vor noch etwas in die Luft. Aber sie lernten daraus und erzwangen damit den Erfolg. Bei vielen herrscht die Illusion, dass zwischen ihrem aktuellen Standpunkt und ihrem Ziel eine gerade Linie verläuft. Das 35 Oktober 2021

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