Jung, DMS & Sie! - Oktober 2021

Selten wurde in TV- oder Radionachrichten, in Tageszeitun- gen oder Online-Portalen so unverblümt zum verstärkten Weintrinken aufgerufen wie in den vergangenen Wochen. Doch das hat natürlich seinen Grund: Die Flut vom 14. Juli, mit der die normalerweise gemütlich dahinfließende Ahr alles mitriss, was ihr im Weg stand. Die Bilder von zerstör- ten Häusern, Straßen, Brücken, Bahngleisen waren tagelang das beherrschende Thema. Von der Katastrophe sind auch fast alle Winzerbetriebe schwer betroffen, knapp die Hälfte wurde komplett zerstört. Da hilft jede verkaufte Flasche Wein aus dem Ahrtal. Drei Jahrgänge Wein verloren Die Schäden sind noch längst nicht genau bezifferbar. Flaschenlagerbestände im Wert von rund 50 Millionen Euro, Fässer, Keltertechnik, Landmaschinen – alles hat der Fluss mit sich gerissen. Betroffen sind vor allem die Jahrgänge 2017 bis 2019 und der komplette Jahrgang 2020 – bei einer Jahresproduktion von durchschnittlich vier Millionen Litern erzielt das Anbaugebiet einen Umsatz von etwa 32 Millio- nen Euro im Jahr. Im kostenintensiven Steillagenweinbau erzielt das für seine Spätburgunder bekannte Anbaugebiet höhere Durchschnittspreise je Liter Wein als andere Regio- nen. Jung, DMS & Sie! / STYLE Flutweine Nach ersten Aufräumarbeiten wurde immer deutlicher, dass doch einige Flaschen und Fässer überlebt haben – zwar in denkbar schlechtem Zustand, aber genießbar. Daher haben sich einige Winzer entschlossen, die geretteten Flaschen vor Ort zu verkaufen und die Aktion über lokale Medien be- kannt zu machen. Die Resonanz war so groß, dass daraus eine weitere Idee entstand: Flutweine übers Internet In der betroffenen Gegend haben sich Winzer, Gastronomen und Vereine zusammengetan und verkauften unbeschädigten Wein, der aus den Trümmern geborgen wurde, übers Internet. Die Initiatoren nannten das Projekt „Flutwein“. Käufer oder Spender konnten die Flaschen, die durch die Flut nicht zu Bruch gegangen sind, über das Internet in dem Zustand, in dem sie geborgen wurden, erstehen. Die vom Schlamm völlig verdreckten Flaschen haben das Zeug, zum Symbol der Region und zu raren Sammlerstücken zu werden. Die Initiative Flutwein, im Rekordtempo von drei Tagen umgesetzt, lief bis zum 1. September und brachte laut Initiatoren mehr als 4,4 Millionen Euro an Verkaufserlösen ein. Verkauft wurden rund 175.000 Flaschen Flutwein, womit eine Flasche rechnerisch auf einen Wert von 25 Euro kam. Unser schlimmster Jahrgang Das rheinland-pfälzische Ahrtal war einmal das größte zusammenhängende Weinbau- gebiet für Rotweine in Deutschland und vor allem bekannt für gehaltvolle, zugleich elegante Spätburgunder. Seit der Flutkatastrophe am 14. Juli ist alles anders. Viele Weinstöcke in unteren Lagen sind zerstört, und die Winzer kämpfen um ihre Existenz. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. “ “ 46 Oktober 2021

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