Jung, DMS & Sie! - April 2021

Spazierengehen galt bisher eher als Beschäftigung für Ruheständler. Man selbst war zu Fuß allenfalls Sonntag morgens zum Bäcker unterwegs, wenn man den letzten Bus verpasst hatte oder man nach dem gemütlichen Restaurant- besuch das Auto promillebedingt lieber stehen ließ. Doch jetzt gehen die Deutschen nicht mehr aus – sie gehen spazieren. Das Promenieren hat sich zu einem Massenphä- nomen entwickelt. Vor allem an den Wochenenden sieht man den Wald vor lauter Spaziergängern nicht mehr, und an Isar, Spree, Elbe oder Rhein ist es überfüllt wie in Rimini am Strand. Wer den ganzen Tag im Homeoffice sitzt und es dann abends gerade einmal fünf Meter bis zur Couch schafft, um erneut vor der Mattscheibe zu sitzen, will auch einmal et- Spazierengehen You never walk alone Die Deutschen entdecken den Reiz der Langsamkeit – und zwar zu Fuß. Spazieren- gehen hat sich in Corona-Zeiten zu einemMassenphänomen entwickelt und das Zeug, auch nach der Pandemie fester Bestandteil der eigenen Freizeitgestaltung zu werden. Denn das Flanieren schärft die Sinne, hilft beim Stressabbau und ist eine Art Flucht aus dem Alltag. was anderes erleben. Doch das war in den vergangenen Mo- naten kaum möglich. Überall Kontaktsperren, Bars, Restau- rants, Kinos, Theater, Fitness-Center – alles geschlossen. Was bleibt, ist der Gang vor die Tür. Einfach so, ohne Ziel. Flucht aus dem Alltag Das Kriterium eines echten Spaziergangs sei die Absichtslo- sigkeit, weiß Bertram Weisshaar, Deutschlands einziger Pro- menadologe – auf Deutsch: Spaziergangsforscher. „Wenn man einkauft, erledigt man einen Weg, dann ist das Gehen das Verkehrsmittel dafür. Spazieren geht man aus Lust am Gehen und aus Neugierde. Ohne räumliches Ziel. Das gibt es nur im übertragenen Sinn: Ich möchte nicht erreichbar sein und keine Arbeit tun“, erläutert Weisshaar. Jung, DMS & Sie! / TRENDS 46 April 2021

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