Gemütlich, gesellig,
gastfreundlich –
nirgendwo spiegelt
sich die bayerische
Selbstdefinition
besser als in den
Biergärten der
Stadt, den schat-
tigen Oasen der
Bierseligkeit.
Ob am Chinesischen Turm, im
Augustiner oder im Hofbräukeller,
die Kultur des Biergartens – wo die
Studentin neben dem Klempner sitzt
und am Nachbartisch der Konzernchef
– ist so lebendig wie eh und je und das
Prinzip denkbar einfach: Bierbänke
und -tische unter dem Dach alter
Kastanien, dazu ein Ausschank, an
dem pausenlos frischer Gerstensaft in
mächtige Maßkrüge gezapft wird –
mehr braucht der Münchner nicht für
sein gold-gelbes Sommerglück.
Sobald der Föhn den Frühling über
die Alpen bläst, werden die Biergärten
zu den zweiten Wohnzimmern der
Städter. Vormittags ab 10 Uhr kom-
men die ersten Gäste, zur Mittagszeit
werden die Plätze rar und so geht es
weiter bis um 10 Uhr abends, wenn die
letzte Maß über den Tresen geht. Ob-
wohl die einheitliche Sperrstunde an
der Isar längst gefallen ist, schließen
die Biergärten pünktlich um 23 Uhr.
27 Zentimeter misst eine Maß, genau
ein Liter passt in die gläsernen Krüge.
Und im Schnitt trinkt jeder Bayer
rund 140 davon im Jahr, das sind über
30 Liter mehr als im Rest Deutsch-
lands. In Deutschland liegt der Pro-
Kopf-Verbrauch aktuell bei 106 Litern
jährlich.
Es geht im Biergarten aber auch ums
Essen: Hendl, Steckerlfisch oder Ob-
azda mit Breze – das ist typisch. Noch
typischer ist es, die eigene Brotzeit
mitzubringen. Das ist Brauch, seit
im 19. Jahrhundert in München die
Biergärten entstanden sind. Damals
konnte das frisch gebraute Bier nur
in Bierkellern an den Hängen der Isar
gekühlt werden. Oft wurden Kasta-
nien gepflanzt und Kies gestreut, um
die Keller zu beschatten. Unter diesen
Kastanien versammelten sich nun im
Sommer die Münchner – und verlang-
ten nach Bier. Da erlaubte König Lud-
wig I. den direkten Verkauf des Biers
in und vor den Kellern, nicht aber
das Servieren von Speisen. Da nur der
reine Ausschank ohne Speisen erlaubt
war, brachte man seine Brotzeit selber
mit. Inklusive karierter Tischdecke,
Holzbrett und Besteck – bis hin zu den
Kerzen für lange Sommernächte.
500 Jahre Reinheitsgebot
Viele Deutsche sind darauf mindes-
tens so stolz wie auf das „Made in
Germany“: das Reinheitsgebot von
1516. Genau genommen ist es eine
bayerische Erfindung. Am 23. April
– also vor 500 Jahren – erließ Herzog
Albrecht IV. eine Vorschrift, die heute
als das älteste Lebensmittelgesetz der
Welt gilt. Zum Bierbrauen dürfe allein
Wasser, Hopfen und Malz verwendet
werden, verfügte der Regent.
Wie dann die Unterschiede zwischen
Hacker-Pschorr, Paulaner, Augusti-
ner, Spaten, Löwen- oder Hofbräu (das
sind die sechs großen Münchner Brau-
ereien) zustande kommen, das bleibt
für den Laien ein Geheimnis.
// Petra Walter
Bayerische Bierkönigin Sabine-Anna Ullrich
Frische Brezen
Jung, DMS & Sie! / Reise
62
Juni 2016